Anora – Eine Striptease-Tänzerin und Callgirl kommt einem Kunden näher und aus einer sich intensivierenden geschäftlichen Verbindung entsteht Liebe. Also wie Pretty-Woman.
Nur anders.
Herausragend ist das Bild der Sexarbeiterinnen, dass ich vorher nie so klischeefern im Film gesehen haben. Es zeigt eine Sexworkerin ohne sie in die Opfer- oder Heldinnen-Schublade zu stopfen. Und gerade bei den doch sehr zahlreichen Sexszenen am Anfang ist diese Offenheit sehr erfrischend, manchmal lustig, nie schmuddelig und sehr realistisch.
Der FSK16-Film besticht nicht durch rasante Rahmenhandlung, sondern durch seine Situationsszenen und dem Durchbrechen von Erwartungen. Fast alle relevanten Charaktere sind anders als man erst denkt und all dass wird sehr plausibel und realistisch dargestellt. Sie sind keine Bösewichte und keine Helden, sondern Menschen, die sich in einer sehr chaotischen Situation zurechtfinden müssen. Dadurch entstehen oft sehr komische Situationen, bei der man sich fragt ob man nun bei all der Tragik nun laut lachen darf oder nicht.
Der Filmstil zieht sich durch die 2.5-Stunden. Lange Szenen in denen realistische Charaktere sich natürlich entfalten, ohne dass es langweilig wird. Regie, Schnitt, Vertonung, Schauspiel, Kamera… alles ist für einen amerikanischen Film sehr ungewöhnlich, der ganze Stil erinnert an ein europäisches Werk und nicht nur die Protagonistin spielt aussergewöhnlich gut.
Der Film ist sicher nicht für jederfrau und jedermann, aber wer mal was anderes sehen will als Mainstream, dem sei der Film empfohlen, selbst wenn es weder ein Action- noch ein Erotikfilm ist. Teilweise etwas chaotisch und turbulent, immer erfrischend realistisch dargestellt.
Dass dieser Film so viele Oscars gewonnen hat (Bester Film, Beste Regie, Bestes Originaldrehbuch, Bester Schnitt und Beste Hauptdarstellerin für Mikey Madison) ist für mich auch ein sehr hoffnungsvolles Zeichen. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass die Kritiker selbst von all den pompösen, nach einem 0815-Schema, gemachten Filmwerk, langsam gesättigt sind und auch langsam etwas anderes, das aus der Reihe fällt, wieder Platz haben muss?
Selbst wenn der Low-Budget-Film mit 6 Millionen gemäss Google-Rezensionen bei vielen Zuschauenden durchfiel, ist er eine Bereicherung der Filmwelt und wer das Andere und Aussergewöhnliche mag, der wird den Film vielleicht ebenso mögen wie ich.
Wertung: 8/10 Exotischen Tänzerinnen