Nastja – Die bloggende Mox

Nastja – The blogging Mox

Gezeichnete Katze mit einseitigen Audio-Cideo-Headset

«Ave Mastodon, gratia plena» 

Eine kritische Betrachtung über Mastodon. Nicht um es schlecht zu reden, sondern weil die problematischen Punkte (die jedes System hat) kaum thematisiert werden. 

Bildmontage eines Screenshots aus dem Spiel Cyberpunk2077 mit einem Computer wo ein Mastodon-Cartoon eingefügt wurde.Bildmontage: Screenshot aus Cyberpunk2077, Creozavr auf Pixabay und Geralt auf Pixabay

Seit Musk Twitter übernommen hat, mehren sich die Stimmen, die ein «TWEXIT», ein Ausstieg von Twitter befürworten. Da gibt es auch genügend Gründe dafür. Sei es weil Hatespeech, Spambots und toxische Umgangsformen überhand nehmen, Verschwörungstheorien verbreitet werden, weil man nicht einen narzisstischen, abgehobenen Milliardär unterstützen will oder weil Twitter in absehbarer Zeit den Betrieb einstellen könnte. All das sind legitime Gründe und sicher eine Überlegung Wert. Über das Für und Wider dieser Argumente will ich mich gar nicht auslassen, diese Entscheidung überlasse ich nämlich euch.

Mastodon – Das neue Twitter?

Stattdessen möchte ich einen Blick auf Mastodon werfen, das oft als Twitternachfolge propagiert wird. Ich will Mastodon auf keinen Fall schlecht reden, noch behaupten es sei schlechter als twitter. Jedoch stört es mich, wenn jemand sagt: «Hey Mastodon ist dezentral und deshalb cool, also alle dahin!» und Piggeldy folgte Frederick ohne weiter zu hinterfragen. Eine vernünftige Auseinandersetzung mit Vor- und Nachteilen von Mastodon findet kaum statt und Informationen darüber zu finden gestaltet sich als sehr schwer, weil die schiere Unmenge an Artikeln und Berichten im Internet sich nur darum drehen, wie es technisch funktioniert und wie man von Twitter zu Mastodon wechseln kann. Kritische Punkte werden kaum angesprochen und verschwinden unter Lobpreisungen. Hintergründe zu den zugrundeliegenden Mechanismen wären sicher irgendwo in der Informationsflut vorhanden, sind aber für Laien wie mich kaum auffindbar. Dabei geht es mir nicht um die persönliche Handhabung, sondern um ganz grundlegende Bedenken die uns als Gesellschaft betreffen.

Noch kein Durchstarten

Mastodon startet trotz gewaltigem Nutzerzuwachs noch nicht durch. Warum? Vielen ist es zu kompliziert. Man muss vorher einen Server auswählen und da fühlen sich viele schon überfordert, sie sind unsicher, was sie nehmen wollen. Und wenn man sich dann für einen Server entscheidet, ist gar nicht gesagt, dass man sich dort anmelden kann. Vielleicht hat es nämliche gar keinen freien Platz mehr. Nun, wer es wirklich ausprobiert hat, wird wissen, dass es gar nicht kompliziert ist, aber man muss sich dazu ein wenig Zeit nehmen und sich damit beschäftigen wollen. In unserer schnelllebigen Zeit und kurzer Aufmerksamkeitsspannen ist dies für viele schon ein KO-Kriterium.

Viele haben Mastodon ausprobiert, nutzen es aber (noch) nicht wirklich. Weil es eben nicht wie Twitter ist und kein Ersatz, sondern was anderes. Was Besseres? Was Schlechteres? Das wird sich zeigen, darüber urteile nicht ich, sondern ihr.

Die heilige Dezentralität

Die Dezentralität von Mastodon wird immer wieder hervorgehoben und meist als überaus positives Argument. Auf die Gefahren davon wird hingegen kaum eingegangen. Ich mag auch nicht, dass ein instabiler Narzisst wie Musk nun Twitter alleine beherrscht. Das heisst aber nicht, dass ich ein dezentrales System um jeden Preis schönreden muss. Erst wenn ich Vor- UND Nachteile kenne, kann ich abschätzen, ob es für mich persönlich wirklich besser ist.

Die Server-Gebote

Dezentral heisst, dass es viele verschiedene Server gibt, bzw. Instanzen, die in Verbindung miteinander stehen. Jeder Instanzenbetreiber nutzt zwar dieselbe Grundsoftware, kann jedoch für seinen Server eigene Regeln aufstellen (Hier ein simples harmloses Beispiel) .Die meisten Regeln orientieren sich auf den Grundlagen der Netiquette, wie man sie auf den meisten Internetdiensten findet. Was nicht heisst, dass es nicht auch schwarze Schafe geben wird. Deshalb kann man sich vor dem Anmelden jeweils mit den Forenregeln vertraut machen. Silhouettenzeichenung von Moses mit den 2 GebotstafelnBild: Jeff Jacobs auf Pixabay

Theoretisch. Aber praktisch? Wir erinnern uns, dass für viele schon die Auswahl eines Servers als zu kompliziert empfunden wird. Wer vergleicht denn nun die Instanzenregeln? Und wie gut wird von Seiten der Betreibenden auf Einhaltung geschaut? Wie gut funktioniert die Moderation? All dies sind Fragezeichen, die erst mit der Zeit beantworten werden können – und dies bei jedem einzelnen Server.

Wechsel der Instanz und Handle (Nutzername)

Passt einem, aus welchem Grund auch immer, die Instanz nicht, dann wechselt man halt auf eine andere. Das gehe ganz einfach, wie immer gerne betont wird. Freunde, Beiträge etc. nimmt man alles mit. Auch das Handle. Vorausgesetzt, dieser ist auf dem neuen Server noch frei, sonst muss man sich einen neuen Namen suchen. Was uns zum nächsten Problem führt:

Fake-Accounts

Dadurch, dass ein Nutzername nicht gesichert werden kann, besteht die Gefahr von Fakeaccounts. Klar kann man sich seinen Wunschnamen sichern, aber dies gilt eben nur für eine bestimmte Instanz. Es könnte also theoretisch auf 1000 anderen Servern einen gleichlautenden Namen geben. Wie viele @elonmusk es wohl schon gibt?

Echokammer

Ein grundlegendes gesellschaftliches Problem bei allen Social-Media-Formen ist die Echokammer. Man lebt virtuell in einer Filterblase, in der meistens das Gleiche zurück schallt was man selber reinruft. Es findet kein Austausch mit anderen Meinungen statt, die eigene Meinung wird bestätigt. Man verlernt sich selbst zu hinterfragen. Weil ja alle gleicher Meinung sind, muss es also wahr sein. Die Folgen können eine Radikalisierung sein.

Wenn man nun bereits bei der Auswahl der Server sich thematisch festlegen muss, verstärkt man diese Echokammer, weil man schon in der Vorauswahl sich thematisch festlegt. Wenn es sich nur um Games handelt, dann ist diese thematische Echokammer nicht so ein Problem, bei gesellschaftlichen und sozialen Themen aber schon. Eines, das uns alle betrifft: Z.B. eine Instanz, die Raum bietet für Rechtsextremismus. Ganz abgesehen davon, dass ich mich nicht nur auf ein Thema reduzieren möchte.

Insel-Instanzen

Sollten sich Server, mit z.B. rechtsextremen Inhalten finden, dann können die Instanzenbetreiber diese einfach aussperren. Das wird auch schon rege so gemacht. So die propagierte Patentlösung. Das funktioniert aber nur dann gut, solange es nur Einzelfälle sind und jeder einzelne Administrator seine Instanz auch gut pflegt. Rechtsextreme, AFD-Wähler, Corona-Skeptiker und alle mit Affinität in die Richtung können gut (von mir frei geschätzt) 20% oder mehr der Bevölkerung ausmachen. Das heisst 20%, die ein Netzwerk unter sich haben, sich gegenseitig an- und aufstacheln. Und niemand in dem anderen Teil kriegt direkt etwas davon mit. Bedenklich. Und übrigens ein guter Grund doch auf Twitter zu bleiben, um der dort entstehenden Echokammer gegenzuwirken

Krieg der Admins

Weniger tragisch, aber doch ärgerlich: Was, wenn 2 Admins, der Star-Trek-Instanz und der Star-Wars-Instanz, sich in die Haare kriegen, weil sie sich nicht einig sind, ob Spock nun der bessere Jedi war als Perry Rhodan? 

2 Männer die sich anfauchenBild: Clard auf Pixabay

Es sind Menschen, und wo Menschen sind, «menschelt» es. Und wenn die sich nun deswegen gegenseitig sperren? Vielleicht hatte ich Leute auf dem anderen Server, mit denen ich mich gerne ausgetauscht habe, und nun einfach nichts mehr? Erst muss ich also feststellen, dass die Instanz gesperrt wurde, dann muss einer von beiden die Instanz wechseln… bei Leuten mit grosser Followerzahl wird es hier doch recht umständlich.

Transparenz

Dezentralisierung, wie bei Mastodon, heisst auch, dass es verschiedene Regeln gibt. Und Transparenz, wie die Regeln umgesetzt werden, nach welchen Kriterien, wie genau die Moderation stattfindet und gewährleistet wird ist nicht garantiert. Braucht es auch nicht, denn Mastodon ist ein «nettes» Twitter. Solange alle anständig sind, ist das ganze doch eh kein Problem.

Arschlochdichte

Die Arschlochdichte auf Mastodon ist viel kleiner, dort sind alle lieb und nett. (Dieser Begriff stammt übrigens nicht von mir.) Solange Mastodon als Nischenprodukt von Idealisten existiert, mag das zutreffen. Sollte sich Mastodon zu einer Twitteralternative mausern, ist kaum anzunehmen, dass besagte Arschlöcher dann denken: «Ne, da dürfen wir nicht rein, Tja, Pech!»

Reine Demokratie

«Mastodon ist, was du draus machst.» Betrachte ich, wie Menschen sind, stimmt mich das nicht wirklich zuversichtlich. Nicht jeder Mensch ist lieb und nett. Ganz abgesehen davon, dass jeder Admin eine omnipotente Veto- und Interventionsmacht hat, und die Regeln recht beliebig setzen kann, hat das auch nicht mehr viel mit Demokratie zu tun. Denn, um obigen Ausdruck nochmal zu verwenden, auch Arschlöcher können Mastodon-Instanzen betreiben.

Avignon: Libetre, egalite, fraterniteBild: falco auf Pixabay

Plutokratie

Ein rein hypothetisches Szenario, zeigt eine weitere Gefahr, die nicht vernachlässigt werden darf. Nehmen wir mal an, eine “Grosse Omnipräsente Partei” der USA (Die Alliteration ist kein Zufall) kooperiert mit der Waffenlobby, weil sie erkennt, dass Mastodon gross am kommen ist. Also machen sie pro amerikanischen Staat 10 Mastodoninstanzen. Und schon sind 500 Server in den USA, die sich mehr oder weniger offensichtlich für ihre Anliegen einsetzen. Schon nur aufgrund der Masse würden sie einige Nutzer sammeln. Mit Demokratie hätte das nichts mehr zu tun, sondern allenfalls mit Plutokratie. Selbst wenn die anderen Instanzen diese anschliessend blockieren würden, wäre es dann immer noch ein Netzwerk von 500 Servern in den USA. Natürlich ist das Szenario nicht real, aber es gibt keine Regulierung, die das verhindern würde.

Es gibt doch Gesetze … 

Auch juristisch ist Mastodon übrigens nicht unproblematisch. Nur ein Beispiel: Aufgrund der geringen Grösse fallen die einzelnen Instanzen eventuell zur Zeit nicht unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Die Justiz hat also weniger Handhabe, wenn die Betreiber illegale Inhalte nicht ordnungsgemäss in nützlicher Frist löschen. Für die Anwälte winkt mit Mastodon eine lukrative Zukunft. 

Datenschutz & Datensicherheit

Datenschutz (Was passiert mit meinen Daten) und Datensicherheit (Schutz gegen Verlust) sind 2 weitere grosse Baustellen von Mastodon. Wie gut sind die Server der Instanzen gesichert? Was macht der Admin der Instanzen mit meinen Daten? Wer hat Zugriff darauf? Was für Kontrollmechanismen gibt es? Sind meine Daten futsch, wenn ein Admin von heute auf morgen findet: «Ich hab keinen Bock mehr und nehme meine Instanz vom Netz?» Wo sind die Daten gesichert? Gibt’s eine End-to-End-Verschlüsselung bei Nachrichten? Auf die wurde doch von den Technikfreaks so viel wert gelegt. Ein Zitat hierzu: «Denn die freiwilligen Betreiber einer solchen Instanz können sämtliche Nachrichten im Klartext einsehen, denn diese sind nicht Ende-zu-Ende verschlüsselt!» nennt mich altmodisch, aber ich finde meine Nudes die ich versende, gehen nur Mich, Nerderlei und die NSA was an.

Diebe asl Miniaturfiguren auf einem MotherboardBild: wir_sind_klein auf Pixabay

Edit: Eine weitere Ergänzung dazu des Twitter-Users BrachatJan – Danke schön:All diese Sachen, die elementar sein sollten in der heutigen Zeit, werden bei Mastodon irgendwie als nicht mehr für wichtig erachtet und man bekommt teilweise sogar den Ratschlag, halt auf Datenschutz und Datensicherheit zu pfeifen. Weil: Es ist schliesslich ein dezentrales Netzwerk, somit toll und man kann Musk damit ans Bein pinkeln. (Diesen Wunsch finde ich übrigens durchaus nachvollziehbar und berechtigt.)

Algorithmus

Last-but-not-Least doch noch eine Anwendungsfrage. Mastodon nutzt keinen Algorithmus um Beiträge anzuzeigen. Es kommt einfach alles nach gewisser Zeit rein, also strikt der Reihe nach. Der Twitteralgorithmus ist mir wirklich unheimlich und darauf ausgelegt Emotionen zu schüren. Aber… ja es kommt ein „aber“. Ist die Mastodon-Variante wirklich besser? Nehmen wir an, ich als Kleinaccount habe nur 500 Leuten denen ich folge. Jeder produziert im Durchschnitt 2 Beiträge pro Tag. 1000 Beiträge. Ich bin nicht dauernd am PC, weil ich manchmal arbeiten muss. Für Leute die nicht permanent aktiv sind, bedeutet das, dass sie nur noch einen sehr kleinen Teil der Beiträge  zu sehen kriegen. Ok, das war auf Twitter auch so. Aber die «guten» und spannenden, die wurden halt doch noch angezeigt während diese auf Mastodon untergehen. Und ich werde nicht jeden Abend auf Mastodon 2 Stunden suchen, was es Neues gibt von Themen und Leuten, die mich interessieren. Es gibt hier kein besser oder schlechter, sondern die Frage,  was für mich geeigneter ist.

Fazit – Warum das Bashing?

Um es nochmal zu wiederholen: Das hier soll kein Mastodon-Bashing werden. Man könnte genauso viel oder mehr über die Gefahren von Twitter schreiben oder all die tollen, positiven Eigenschaften von Mastodon. Aber hierzu gibt es schon genügend Beiträge im Netz. In diesem Beitrag sollen aber mal die heiklen Punkte von Mastodon beleuchtet werden, damit man Antworten und Lösungen sucht, wo es notwendig ist. Und vor allem soll er anregen zu hinterfragen, wenn das nächste Mal jemand sagt: «Da lang!». 

P.S.: Hive

Relativ neu im Gespräch ist Hive. Also alle da hin, das ist voll cool! Man weiss zwar nicht wer dahinter steckt also wem Hive gehört und es gibt kein ImpressumVoll vertrauenswürdig, oder? Hauptsache es ist schick.

Oh: Massive Sicherheitslücken: Twitter-Alternative Hive vorübergehend dicht gemacht. (6.12.2022)

Danksagung

Eine riesengrosses Danke an die beste und tollste Nerderlei, die mir beim korrigieren und mit viel Zuspruch geholfen hat – und immer wieder hilft, einfach schon nur, weil es sie gibt und die auch meine hyperaktiven Phasen erträgt.
Sie hat auch einen sehr lesenswerten Blog unter www.nerderlei.de

(Und egal wie toll sie korrigiert, ich schaffe es immer Fehler vorbeizuschmuggeln oder neu reinzubringen.)

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