Betrachtungen über den Wettlauf und den Stand der KI-Technik und deren Chancen und Gefahren. Eine Buchrezension über das Buch KI-Nation von Fabian Westerheide.
«In „Die KI-Nation“ nimmt Fabian Westerheide, einer der führenden KI-Experten Deutschlands, die Leser:innen mit auf eine visionäre Reise durch die Zukunft der künstlichen Intelligenz (KI) in Deutschland und darüber hinaus. Angesichts der rasanten Entwicklungen in den USA und China skizziert Westerheide einen Weg, wie Deutschland nicht nur aufholen, sondern eine führende Rolle in der KI-Revolution und der postfossilen Weltwirtschaft übernehmen kann. Von aktuellen Herausforderungen über ethische Fragen bis hin zu konkreten Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – dieses Buch ist ein umfassender Leitfaden für alle, die die Zukunft mitgestalten wollen.»
So lautet die Beschreibung auf Amazon von «Die KI-Nation – Zwischen Dystopie und Utopie». Klingt vielversprechend und die Amazon-Bewertung von 4.3/5 Sternen ist auch nicht übel. Meine Bewertung würde massiv schlechter ausfallen. Oh, ich kann es durchaus empfehlen, sofern man nicht nur Schriften zu Gemüte führen will, die die eigene Meinung bestätigen. Fabian Westerheide bringt sehr viele richtige Meinungen und Fakten, und seine Schlussfolgerungen scheinen auf den ersten Blick schlüssig, offenbaren jedoch meines Erachtens eine fundamentale Gefahr bei der ganzen KI-Technik. Sie wird, in ihren Nutzen und Gefahren, nur allzu oft aus der Warte der Privilegierten betrachtet.
Hier nun ein Versuch zu begründen, warum ich zu ganz anderen Schlüssen komme als der Experte, aber auch der Versuch, eine sachliche Kritik zu verfassen.
Rhetorisch ist das Buch einwandfrei, es ist auch ohne Vor- und Fachwissen leicht verständlich. Der Aufbau ist sauber und logisch und führt einen Schritt für Schritt durch die Welt der KI. Westerheide ist ein Businessman, ein Investor, was seine Sicht der Dinge zwar prägt, aber er erklärt schlüssig seine Position und Ansichten. Er erklärt, warum die Überregulierung z. B. punkto Datenschutz in Deutschland eine massive Bremse ist, und dass Deutschland riskiert abgehängt zu werden und im KI-Sektor zu einem Schlusslicht zu verkümmern. Er erklärt wie viele StartUps anderswo gegründet werden um dann von den grossen «Playern» (wie Microsoft, Google, aber auch asiatische Grossfirmen) aufgekauft zu werden. Technisch und ökonomisch sind diese «Player» den meisten anderen weit voraus – insbesondere deutschen KI-Firmen. Die Frage ist daher, gemäss Westerheide, also nur, wie weit wollen wir (Damit meint er Deutschland) uns noch weiter abhängen lassen.
Bild von Mohammad Usman
Westerheide plädiert übrigens nicht dafür, sämtliche Einschränkungen punkto KI und Datenschutz aufzugeben, aber wo genau man was erlauben soll, das wird zu wenig präzise erfasst. Er hat in vielen seinen aufgeführten Punkten recht, nur leider vergisst er dabei die Normalbevölkerung. Vom Elfenbeinturm seiner privilegierten Stellung nimmt er die Realitäten der «kleinen» Menschen nicht mehr wahr und das erscheint mir symptomatisch für den KI-Zug auf dem wir uns befinden. Es wird der Hyperkapitalismus gepredigt, immer mehr «konstruktiver Wettbewerb», aber ist es zum Wohle der Menschen?
Ich glaube am einfachsten erkläre ich das anhand einiger Beispiele:
Dass jede Regulierung bremst, ist natürlich korrekt. Jedoch geht der Autor zu wenig konkret darauf ein, wann eine Bremse sinnvoll ist und wann nicht. Und Sinn darf in meinen Augen nicht der alleinige ökonomische Faktor sein. An diesem Punkt geht Westerheide viel zu wenig ins Detail. Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern. Automobile: E-Autos sind im Kommen, aufgrund von Überregulierungen besteht die Gefahr, dass Deutschland den Anschluss verlieren wird, was China freut. Das heisst nicht, dass man nun gar nichts mehr regulieren soll. Punkto Sicherheit und Umweltschutz zum Beispiel darf und soll es Restriktionen geben. Hier hätte ich mir vom Autor den Mut gewünscht, mehr in die Tiefe zu gehen und vorzuschlagen, welche Regeln sinnvoll sind und welche nicht.
Um das mit einem Beispiel beim Thema Auto zu verdeutlichen: Ein Fussgängerstreifen bremst den Verkehrsfluss, und trotzdem finde ich dies sehr sinnvoll. Weil damit u.a. der Autoverkehr reduziert und dafür der Fuß- und Radverkehr gestärkt wird – was Umwelt- und Klimaschutz fördert. Die Innenstadt wird dadurch auch meist etwas “grüner” und es entstehen Aufenthalts- und Begegnungsflächen, die zum Verweilen einladen. Außerdem bringt es generell mehr Ruhe in den Stadtverkehr, schützt deshalb auch Bürger*innen, besonders Kinder. Ein vermeintliches „Ausbremsen” muss also nicht zwingend bedeuten, dass es negative Folgen haben muss oder Innovationen bzw. Fortschritt verhindert werden. Was das eine bremst, kann durchaus anderswo einen Schub bewirken.
Bei der ganzen KI-Ökologie geht es nach bester kapitalistischer Manier um den konstruktiven Wettbewerb, sich gegenseitig anzuspornen. Leider hakt es dabei an 2 grundlegenden Fehlern dieses Systems. Erstens: Ein konstruktiver Wettbewerb, den man gewinnt, bedingt, dass es möglichst viele gibt, die schlechter aufgestellt sind, auf deren Rücken man die Profite machen kann. Zweitens, dass es in der Techbranche eine Handvoll Global Player gibt, die jede Innovation aufkaufen, für sich implementieren oder in der Versenkung verschwinden lassen, je nachdem was mehr Profit verspricht. Dieses «Winner-Takes-It-All»-Prinzip verhindert dadurch einen echten Wettbewerb: Konzerne, die Produkte aufkaufen, dadurch noch mächtiger werden und noch mehr aufkaufen können.
Die KI kann und soll möglichst umfassend angewendet werden, um uns optimal zu Diensten zu sein. Datenschutz? Nun damit muss man leben können und wissen, wie man damit umgehen kann. Man darf halt keine elektronischen Geräte ins Schlafzimmer mitnehmen. Das würde heißen: kein Alexa/Siri, kein Smartphone, kein Smart-TV, kein Babymonitor im Schlafzimmer? Und auch der eigene Teenager müsste sein Smartphone jeweils ausserhalb seines Zimmers deponieren. Ich halte das weder für realistisch noch für praktikabel. Zu verlangen, dass man sich halt damit auskennen muss, halte ich für arrogant und ignorant. Natürlich ist es nachvollziehbar, wenn er fordert, dass dies in der Schule gelehrt wird, neben einer Programmiersprache. Aber auch die Schule kann nicht unendlich viel Infos vermitteln. Was aber ist mit den hartarbeitenden Menschen? Georg, der Kellner, der jeden Tag 12 Stunden unterwegs ist und zuhause Frau und 3 Kinder, soll sich nebenbei mit KI und Datenschutz beschäftigen? Die LKW-Fahrerin Sonja, die in ihrer spärlichen Freizeit bei der Obdachlosenhilfe arbeitet, muss sich über die Komplexität der modernen Gesellschaft in der Informatik beschäftigen? Silvio, der Dachdecker, will nach einem 10-Stunden-Tag an der brütenden Sonne auch nicht lernen, wie Programmiersprache XY geht.
Bild von Daniel Agrelo
Es kann nur funktionieren, wenn sich beide Parteien annähern – bedeutet, die Technologie muss einen Schritt auf den Mensch zugehen und der Mensch seinerseits auf die Technologie. Technologie muss deshalb immer leichter und intuitiver zu bedienen sein, und der Mensch gewillt sein, sich an damit verbundene Veränderungen anzupassen und sie mitzugehen, die eben nicht vermeidbar sind. Es kann nicht funktionieren, wenn man einfach fordert, dass halt der Mensch alles können und verstehen muss. Die Technologie gibt vor – sie muss von sich selbst heraus, dafür sorgen, dass sie verstanden wird – nicht die Anwender*innen, die erst ein Studium absolvieren müssen, damit sie den An-Knopf finden. Technologie hat die Verantwortung Anwender*innen an die Hand zu nehmen und ihnen die Anwendung/Nutzung so einfach wie möglich zu machen, damit Anwender*innen daraus einen Mehrwert erzielen können – das ist das Wesen von Usability, oder sollte es sein. Und das gilt für KI-Systeme genauso wie für einen einfachen Eierkocher.
KI ist keine Gefahr für die Menschen und für menschliche Arbeitsplätze. So die Aussage des Autors. Das ist sehr idealistisch und kurzsichtig. Dass der Nutzen von KI gewaltig ist, ist unbestritten und vielleicht ist es gesamtgesellschaftlich langfristig sogar arbeitsplatzfördernd. Die Sorgen und Nöten der Einzelschicksale deswegen kleinzureden ist trotzdem der falsche Weg. Zwei Beispiele aus dem Buch:
Bereits jetzt hat KI ein Level erreicht, wo sie zum Beispiel in der Buchhaltung Arbeit abnehmen kann. Die frei gewordene Zeit, könne man produktiver nutzen, zum Beispiel mit einem Spaziergang. Auch wenn dies der Autor vielleicht humoristisch gemeint hat, offenbart es eine gewisse Blindheit. Kein Arbeitgeber wird die freie Zeit zur Verfügung stellen, sondern entweder wird das Pensum gekürzt und somit der Lohn oder es wird mehr Arbeit reingeholt, die man in der frei gewordenen Zeit machen soll. Wo also ist der Nutzen für den Arbeitnehmer? Nicht jeder ist selbständig erwerbend und kann selbst über sich bestimmen.
Ein anderes Beispiel war der Verkäufer*innen-Beruf. In Zukunft würden, so Westerheide, viele arbeiten im Supermarkt durch Roboter und KI abgenommen werden. Aber natürlich würde er weiterhin auch einige wenige menschliche Angestellte erwarten, damit er eine Ansprechperson hat. Die müsse dementsprechend gut bezahlt werden. Das bezweifle ich sehr stark: Wenn die Nachfrage an Personal sinkt und es stattdessen eine steigende Anzahl an beschäftigungslosem Verkaufspersonal gibt, führt das nicht zu höheren Löhnen, sondern im Gegenteil zu Tiefstlöhnen. Ganz nach dem kapitalistischen Prinzip von Angebot und Nachfrage. Außerdem wird die Erwartung an die Qualifikation dieser Personen stark ansteigen und letztlich nichts mehr mit dem ursprünglichen Beruf zu tun haben – was bedeutet, dass all jene, die diesen Beruf gelernt haben sich umorientieren & umschulen müssen, um einen der sehr wenigen Arbeitsplätze zu ergattern. Wem das wohl nützt?
Der Nutzen, was sowohl Arbeit- wie auch Kostenersparnis von KI angeht, ist gewaltig, doch ist der Nutzen nur ungleichmässig verteilt. Es sind die Konzerne und Geschäftsinhaber, die profitieren, nicht die Arbeitnehmenden. Schaut man die Vermögensentwicklung der letzten Jahre der Arbeiter*Innen-Schicht an, im Vergleich zu denen der Konzerne und deren Inhaber, bestätigt sich dieses Bild.
Dass KIs gerade im gestalterischen Bereich sich nicht um das Copyright scheren und das Problem mit Fakenews wird zuwenig thematisiert, noch die notwendigen Lösungen gesucht. Es wird zwar auf generative KI eingegangen, jedoch nicht auf die konkreten Auswirkungen und Copyrightfragen.
Wer KI skeptisch gegenübersteht, ist rückständig und/oder ängstlich. Diese Polarisierung findet man mehr oder weniger in jedem Gespräch und jedem Buch von und mit KI-Enthusiasten. Auch Westerheide betont, dass KI die Menschheit nicht zerstören wird. Skynet sei nicht realistisch. Sehr viele Menschen haben wirklich Bedenken, sie jedoch in die Angstecke zu stellen ist alles andere als fair oder konstruktiv und sie denken dabei nicht an Terminator, sondern an gesamtgesellschaftliche Veränderungen. Vorsicht und Angst sind zwei verschiedene Dinge. Man muss Gefahren erkennen, um ihnen begegnen zu können. Und viele Science-Fiction Werke befassen sich ganz bewusst genau mit den realistisch möglichen Folgen, Risiken und Gefahren – es schadet nicht, wenn auch reale Experten ihre Augen nicht vor diesen Mahnungen verschließen, nur weil es nicht in das gewünschte Narrativ passt.
Bild von Stefan Keller
Auch hier möchte ich wieder das Thema Auto bemühen, um es auszuführen: Autos wurden erfunden, das kann und will ich nicht rückgängig machen und statt dessen die Pferde wieder einführen. Trotzdem schaue ich beim Überqueren einer Strasse immer ob nicht ein Auto kommt. Das nennt sich Vorsicht und gesunder Menschenverstand. Innerorts nur 30km/h vor dem Schulhaus? Finde ich eine sinnvolle Regulierung. Klar kann man sagen man hat Angst davor, dass Kinder überfahren werden, aber das ist keine Angst vor dem Auto generell, noch ist man damit ein fanatischer Anti-Auto-Kreuzzügler wenn man das Geschwindigkeitslimit in sensiblen Zonen befürwortet. Auch das Pseudo-Argument, es ist nicht das Auto, das tötet, sondern der Mensch im Auto der es steuert, ist sinnlos. Beim überqueren der Strasse schaue ich trotzdem zuerst, ob ein Auto heran rast.
Sinnvoll und verantwortungsvoll mit KI umgehen, das sollte das Ziel sein. Grenzen setzen wo notwendig, Fortschritt wo sinnvoll und vor allem zum Nutzen der Menschheit, und nicht nur für die reichsten 1%.
5.5 von 10 aufgekauften KI-Startups (und trotzdem lesenswert).
Der Autor betont mehrmals, wie sehr er KI einsetzt und wie hilfreich das ist. Mich beschlich beim Lesen das Gefühl, dass er damit auch das Buch geschrieben bzw. gestaltet hat. Es ist nämlich fürchterlich: Sehr viele Trennstriche mitten in der Zeile, Absatzwechsel im Satz, Seitenwechsel mitten im Absatz (selbst wenn nur 2-3 Wörter des aktuellen Absatzes auf der aktuellen Seite sind) und unterschiedliche Zeilenabstände. Es ist sehr chaotisch und ohne Lesefluss. Bei der Danksagung sind die Buchstaben vertikal statt horizontal angeordnet, immerhin war es nur einspaltig. Möglicherweise kann KI doch noch nicht alles so gut.)
Eine riesengrosses Danke an die beste und tollste Nerderlei, die mir beim korrigieren, mit viel Zuspruch und auch mit wichtigen Text-Ergänzungen geholfen hat – und immer wieder hilft, einfach schon nur, weil es sie gibt und die auch meine hyperaktiven Phasen erträgt.
Sie hat auch einen sehr lesenswerten Blog unter www.nerderlei.de
(Und egal wie toll sie korrigiert, ich schaffe es immer Fehler vorbeizuschmuggeln oder neue reinzubringen.)
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