«Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten» ist ein Science-Fiction-Roman. Nein, halt! Lies weiter, auch wenn Du kein Sci-Fi-Fan bist, kann ich Dir dieses Buch ans Herz legen. Als Tochter einer Astrobiologin und eines Luft- und Raumfahrttechnikers weiß die Autorin Becky Chambers, wovon sie spricht, driftet aber nie ins «Hard-Science-Fiction» ab, das sich übermäßig mit technischen Aspekten auseinandersetzt.
Es ist eine Abenteuergeschichte und handelt von der Crew des Raumschiffes Wayfarer. Entgegen anderen Romanen des Genres sind hier keine Heldensagen verfasst worden, keine wild um sich schießenden Space-Cowboys, keine wüsten Raumschlachten, sondern der Alltag einer Crew, die sich mit harter Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen muss. Auch wird nicht der moralische Zeigefinger erhoben, was früheren Sci-Fi-Geschichten oft eigen war. Trotzdem, oder gerade deswegen, gelingt Becky Chambers das Kunstwerk, ein extrem spannendes Buch zu schreiben, bei dem man von Anfang bis zum Schluss mitfiebert. Eine Geschichte in der ganz normal und realistisch agiert wird und nicht aufgrund des Erscheinens von Piraten alle zu Superhelden mutieren. Dies allein würde das Buch schon lesenswert machen. Aber da ist noch mehr! Der Grund, warum dieses Buch in meinen Augen etwas ganz Besonderes ist:
Es sind die Personen, die Crew der Wayfarer, und die Gesellschaft, in der die Geschichte spielt. In der galaktischen Union tummeln sich eine Vielzahl von Rassen, alle mit Eigenheiten, mit guten und schlechten Seiten. Mit Individuen in jeder Rasse, die das gesamte Spektrum zwischen gut und schlecht abbilden, ohne Stereotypen zu bedienen und deren moralische Vorstellungen sehr unterschiedlich sind. Manche führen Kriege, manche sind isolationistisch und andere halten sich für etwas Besseres. Es ist keine utopische Gesellschaft wo alle in Harmonie leben, sondern sie hat und macht Probleme.
Und doch: Mögen die Nationen und Reiche auch ihre Konflikte haben und austragen, so lebt der Grossteil der Individuen eine Kultur des Miteinanders und der Akzeptanz. In einer Gemeinschaft die aus zig verschiedenen Spezies besteht, in welcher die kulturellen, psychischen und physischen Unterschiede kaum grösser sein könnten wäre alles andere auch gar nicht praktikabel. Nicht fehlerlos, nicht perfekt, nicht harmonisch – aber es wird sich bemüht andere so anzunehmen und zu respektieren wie sie sind. «Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten» zeigt den Wert einer offenen Gesellschaft und die Bereicherung, die daraus entstehen kann. Wie spannend und interessant Unterschiede sind, wenn man sich offen darauf einlässt. Durch all die Abenteuer, welche auf der Wayfarer erlebt werden, zieht sich dieser rote Faden durch die ganze Geschichte: voller Optimismus, voller Leben und Lebenslust. Selten habe ich ein so aufbauendes Buch gelesen, das nie ins Kitschige abdriftete, nie belehrend wurde, nie langweilig war, und bei dem man doch immer voller Spannung mitfiebert.
Gerade in der heutigen Zeit, wo die Gesellschaft politisch nach rechts abzudriften droht und Nationalismus, Rassismus, Abgrenzung und Eigeninteresse auf dem Vormarsch ist, ist dieses Buch aktueller denn je und wie eine frische Brise, die einen aufatmen lässt. Was für ein Kontrast zu der Angstatmosphäre, die aus manchen Kreisen zurzeit geschürt wird und in welchen zwanghaft Sündenböcke bestehend aus «den Anderen» gekürt werden.
Wie schön und interessant und abwechslungsreich könnte das Miteinander und unsere Gesellschaft sein, mit ein wenig gegenseitiger Akzeptanz, Toleranz, Neugier, Offenheit und Respekt. Wenn man sich selbst und das, was einem bekannt ist, nicht als Maß aller Dinge annimmt. Einzig, dass fast alle Aliens den Genuss von Käse – ein vergorenes Produkt aus der Muttermilch einer anderen Säugetierspezies – total eklig finden, ist kaum nachvollziehbar.
«Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten» ist ein erfrischendes, herzerwärmendes und hoffnungsmachendes Feelgood-Buch mit Tiefgang, das uns den Glauben an die Menschheit zurückgeben kann.
Becky Chambers lebt zusammen mit ihrer Ehefrau in ihrer Heimat Kalifornien und arbeitet als technische Redakteurin. Ihren Debütroman finanzierte sie 2012 über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter.com und brachte ihn 2014 zunächst im Eigenverlag heraus. Am 13. August 2015 erschien der Roman bei den Verlagen Hodder & Stoughton (in Großbritannien) und Harper Voyager (in den USA) und wurde 2016 für den Arthur C. Clarke Award nominiert. Auf Deutsch erschien er im Oktober 2016 unter dem Titel «Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten» bei Fischer Tor, ISBN 978-3-596-03568-7. Drei Fortsetzungen sind inzwischen erschienen.
10 von 10 Käsephobiker:Innen
Eine riesengrosses Danke an die beste und tollste Nerderlei, die mir beim korrigieren, mit viel Zuspruch und auch mit wichtigen Text-Ergänzungen geholfen hat – und immer wieder hilft, einfach schon nur, weil es sie gibt und die auch meine hyperaktiven Phasen erträgt.
Sie hat auch einen sehr lesenswerten Blog unter www.nerderlei.de
(Und egal wie toll sie korrigiert, ich schaffe es immer Fehler vorbeizuschmuggeln oder neue reinzubringen.)
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