Nastja – Die bloggende Mox

Die Sache mit dem Kreuz 

Minimal-Spoiler-Warnung: Eine Anspielung auf eine unter die Haut gehende Ingame-Quest über die Sache mit dem Kreuz und wie sie zustande kam.Neon-Anschrift Fourth-Wall-Studios. Screenshot aus dem Spiel Cyberpunk 2077

«Sie meinen das Ernst, Maggie, oder?» Auch wenn niemand im Raum wirklich daran zweifelt, muss Direktor Steven Ash diese Frage einfach stellen.

Die angesprochene Maggie Monrow, eine hochgewachsene Mittdreissigerin in einem strengen Businesskostüm, blickt kühl und scheinbar gleichmütig erst den Direktor der 4th-Wall-Studios, dann den juristischen Berater Julio Van Diemen und den PR-Lead-Manager Anton Bellfer. «Ich scherze nie, Steven, das wissen Sie genau!»

Anton, der PR-Man reibt sich die Schläfen. « Das ist Irrsinn, das wird uns ruinieren! Na gut nicht gleich ruinieren, aber die Aktionäre werden alles andere als begeistert sein, wenn aus hochdotierten Aktien plötzlich Klopapier wird.»

«Wird es nicht.» entgegnet Maggie schon fast sanft. «Ich habe alles bedacht.»

Der Anwalt Julio Van Diemen lacht auf. «Maggie! Sie haben einen religiösen Irren und nageln diesen ans Kreuz und nehmen seinen Tod auf. Auf einem ganz normalen, öffentlich publizierten Braindance. Die Leute werden durchdrehen. Die Medienaufsicht, die Moralapostel, die Politiker sogar die verdammten Kirchen, alle werden uns an den Hals gehen und der Braindance wird spätestens nach 2 Wochen auf dem Index landen!»

«Ja, wunderbar nicht wahr?» sagt Maggie und ein Lächeln erhellt ihr Gesicht.

«Erklären sie das, in allen Details, Maggie!» befiehlt Direktor Ash barsch, der gar nicht zum Lächeln aufgelegt war.

«Natürlich Steven, wie sie wünschen», beginnt Maggie kühl und ohne zu zögern» Unser Darsteller, Joshua, mag ein religiöser Spinner sein, aber er ist äussert leidenschaftlich und glaubt mit einer Innbrunst an seine Sache, die nur bei den wahren Fanatikern zu finden ist. Solche tiefen Emotionen verkaufen sich gut. Er verzichtet nicht nur auf ein Gehalt, er besteht darauf, keinerlei Gegenleistungen zu erhalten. Somit entstehen keine Schaustellergagen und was uns vom Vorwurf freiwäscht, dass wir hätten ihn irgendwie dazu gedrängt hätten. Der Braindance wäre sehr kurz, nur eine Studiolocation, keine Requisiten ausser dem Kreuz. Man braucht nur ein technisches Team und einer der hämmert. Auch die Produktionskosten fallen also kaum ins Gewicht.»

«War es nicht so», fragt Bellfer dazwischen, «dass die Leute früher an Kreuzigungen oft tagelang da hingen, bevor sie starben?»

«Korrekt, Anton. Natürlich können wir das nicht so stark die Länge ziehen, das würde auch niemanden interessieren. Wir verwenden Ultraschallvibrierende-Nägel, die eine Blutgerinnung verunmöglicht und Joshua in weniger als 30 Minuten ausbluten lässt.»

«Das ist ja ekelhaft!» sagt der blass gewordene Angesprochene. «Das wird nie durch die Freigaben kommen»

«Wir beantragen gar keine Freigaben, sondern geben das direkt als R++ Rating raus» erklärt Maggie. Das R++ Rating ist strikt für Erwachsene vorgesehen, inkl. einer expliziten Triggerwarnung. Weil der Markt für diese Produkte meist zu klein ist um rentabel zu sein, wird diese fast nie verwendet. «Natürlich wird das die besagten Moralapostel nicht davon abhalten Sturm zu laufen. Unseren Analysen zur Folge wird das Produkt innerhalb von 12 Tagen auf dem Index landen.»

«Und warum sollte das so toll sein? Klingt nicht als ob da viel Geld drin ist.» fragt Direktor Ash. «Es sei denn, sie wollen das BD zu 10-fachen Preis verkaufen.»

«Im Gegenteil. Wie verkaufen das als zum halben Preis. Aus Rücksicht auf die zartbesaiteten machen wir nur minimal Werbung ohne Details zu verraten und alle werden sich fragen, was dahintersteckt. 2 Wochen Start lassen wir ein paar Leaks auf ein paar ausgewählte Influencer los. Das wird genügend Gerüchte in Umlauf bringen, um das Interesse genügen zu wecken. Ausserdem kommt hier ein besonderer Kniff, den wir uns ausgedacht haben zu tragen. Aufgrund der aussergewöhnlichen Erfahrung eines solchen Momentes, wäre es ja schon blasphemisch das als etwas anderes als ein einzigartiges, einmaliges Erlebnis anzubieten. Weshalb sich der Braindance nach dem ersten vollständigen Abspielen selber zerstört. Ein Einmal-BD und auch darum auch der günstige Preis, als entgegenkommen unsererseits.»

Verblüfftes Schweigen im Raum. «Und das soll gut sein weil…?» fragt Van Diemen.

«Der BD wird Kult sein, schonbevor er erscheint. Aber er wird sich nicht gross verkaufen und somit erstmal ein heisser Insider-Tipp sein. Die Einmalfunktion schränkt die Verfügbarkeit stark ein, sobald der BD auf dem Index ist, werden sich alle drum reissen. Wir rechnen weltweit mit knapp 100’000 Verkäufen in den ersten 2 Wochen bevor er verboten wird. Und anschliessend ein paar hundert Millionen weltweit in den ersten 6 Monaten auf dem Schwarzmarkt mit illegalen Kopien zum Wucherpreis. Die werden uns das Zeug aus den Fingern reissen.»

«Was nun, dem Schwarzmarkt oder uns?» fragt der Direktor etwas begriffsstutzig.

«Beides, weil wir den Schwarzmarkt beliefern werden, lange bevor die Netrunner unser Produkt geknackt haben. Somit: Minimale Produktionskosten, maximaler Gewinn. Ausserdem: Ich gehe davon aus, dass die Henkersmahlzeit vom Protagonisten viel einprägsamer wahrgenommen wird als normal. Perfekt für ‘Product Placement’. NiCola zum Beispiel würde ein Vermögen zahlen, wenn sie das letzte Getränk wären, dass Joshua die Kehle runterrinnt.»

Julio Van Diemen meldet sich erneut «Ich seh’ da 2 grosse Probleme. Ersten den Imageverlust und zweiten das Copyright der Kirche.»

«Natürlich, Julio, habe ich auch das bedacht» meint Maggie wieder lächelnd. «Sowas zu produzieren widerspricht wirklich jedem ethischen Standard wofür die 4th-Wall Studios stehen. Deshalb werden wir die Producerin Rachel, welche die Idee gehabt hat, fristlos feuern und von ihr distanzieren, sobald der Skandal wirklich hochkocht. Was die Kirche betrifft: Ja, die wacht sehr streng über ihr Copyright aller christlichen religiösen Symbole. Sie werden und auf 560 Millionen verklagen, was übrigens wieder PR ist und die Nachfrage massiv ankurbeln wird. Wir werden uns aussergerichtlich bei 80 Millionen einigen. Das wurde schon alles geregelt.»

Nun lächelt auch Direktor Ash. «Maggie, meinen Sie nicht, dass es sehr peinlich wäre, wenn rauskäme, dass sie mit dem Leiter der Rechtabteilung der Vereinigten Christlichen Kirche ein Verhältnis haben?»

«Aber ich habe doch gar kein Verhältnis mit dem» sagt Maggie ernst, «Wir ficken nur regelmässig zusammen!»

Ein kurzes spannungsgeladenes, verblüfftes Schweigen wird durch einen Heiterkeitsausbruch der 3 anwesenden Männer aufgelöst. Auch Maggie lächelt nun wieder, weil sie weiss, dass sie ihr Ziel erreicht und den Direktor überzeugt hat. Und ausserdem scherzt sie wirklich nie.