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Gezeichnete Katze mit einseitigen Audio-Cideo-Headset

Quo Vadis CD Projekt RED?

Die Ankündigung, dass CD Projekt RD ein Studio in den Vereinigten Staaten von Amerika eröffnet, erzeugt bei der Autorin dieser Zeilen ein gewissen Unbehagen.Weisse Cyberpunkstiefel auf dem Mittelstreifen einer Landstrasse vor Night City. Screenshot aus dem Spiel Cyberpunk 2077.

Mit einer Menge ambitionierter Ankündigungen am «CD PROJEKT Group Strategy Update» vom 4. Oktober 2022 setzte CD Projekt RED ein klares Zeichen an die Zockergemeinde, an die Medien und vor allem an die Investoren: „Wir sind da, wir sind ambitioniert, innovativ, kreativ. Wir haben viel vor, mit uns müsst ihr rechnen!“ Doch eine Ankündigung bereitet mir Unbehagen: Ein neues Studio in Boston, welches für das Projekt «Orion», der Nachfolger von Cyberpunk 2077, verantwortlich sein wird. Beim Spielen von Cyberpunk, habe ich bereits jetzt oft das Gefühl, dass nicht alles so umgesetzt wurde, wie ursprünglich geplant, dass es innerhalb des Spiels 2 verschiedene Stile gibt: Eine ursprüngliche brutale, schmutzige und unbequeme Cyberpunkwelt und eine «amerikanisierte» leichtere Variante, die nicht so schwer auf dem Magen liegt. 

Die nackte Wahrheit

Zum Beispiel der Umgang mit der Nacktheit. Es geht mir nicht darum, mich an Nacktheit aufzugeilen, sondern die Tatsache, dass Menschen unter den Kleidern nun mal nackt sind, aber man diese Nacktheit nicht zeigen oder andeuten darf. Es ist das, was ich in meinem Umfeld “amerikanische Prüderie” nenne. Ganz bewusst überspitzt ausgedrückt: Ein weiblicher Nippel darf in Amerika nicht medial gezeigt werden, es sei denn im Rahmen der obligatorischen sexuellen Softcoreszene (normalerweise 1x pro Film oder 1x pro Romanzencharakter in einem Spiel), oder wenn der Nippel mit einer Kettensäge malträtiert wird. Hautenge Kleidung scheint OK zu sein, aber wehe man geht ins Detail! Auch im Dicky Twister ist von “Dicks” nichts zu sehen. Ansonsten bleibt selbst beim Sex mit einem teuren Edel-Joytoy der BH an. Oberkörper einer Frau im goildenen BH von Unten. Screenshot aus dem Spiel Cyberpunk 2077.

Und natürliche, nicht sexuell motivierte Nacktheit? Wenn Kerry nach dem Sex  nackt ins Wasser springt und dann mirakulös mit Badehose wieder auftaucht, nur damit niemand sein Glied sieht, dann wirkt das kindisch und unreif. Scavs weiden ihre Opfer aus, entnehmen Organe und Implantate, aber haben so viel Anstand, die heikelsten Stellen zu bedecken (abgesehen von ein paar nackten Brüsten bei einem geöffnetem Brustkorb, siehe das Beispiel oben mit der Motorsäge). Ein Nippelabdruck? Keine Chance, da wird alles vertuscht und notfalls ein Klebeband auf die heikle Stelle geklebt, wie bei Meredith. Ich darf meine Figur selber nicht nackt sehen und brauche eine Mod, um die ewig gleiche, langweilige Unterwäsche wegzubekommen? Nicht mal die Unterwäsche kann ich selber auswählen und ändern? Wie alt sind wir? Ich dachte das Spiel ist ab 18? Die allzu bemühte Vermeidung nackter Tatsachen ist absurd und kitschig, ein Immersionskiller. Das ist Cyberpunk: Männer haben Schwänze und Frauen haben Muschis und Titten!

Nachtrag: Anscheinend gibt es doch ein Outfit, bei dem was zu sehen ist, wie ich erst kürzlich entdeckt habe. Immerhin eines, war das schon immer so, oder wurde das verschärft?Frau im durchichtigen Plastiktop im Rotlichtbezirk. Screenshot aus dem Spiel Cyberpunk 2077.

Polarisierte Superhelden und Bösewichter

Schon jetzt fehlt mir manchmal der «Punk»-Aspekt bei Cyberpunk 2077, bin ich ja im Spiel oft eine Mischung aus Aushilfscop und Batman, löse Verbrechen oder sühne sie. Wo bleiben die schwierigen moralischen Entscheidungen, welche die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen lassen, wie im Meisterwerk The Witcher 3? In Cyberpunk 2077 werde ich meist dazu gezwungen, der Gute zu sein. Die klare Verteilung von Gut und Böse ist ebenfalls eine von mir als «Amerikanismus» genannte Mechanik: Ein Schwarz-Weiss-Denken mit klaren Helden und Bösewichtern.Mit Messerbewaffneter Punk steht einem MaxTac mit Revolver gegenüber. Screenshot aus dem Spiel Cyberpunk 2077.

Bei den Charakteren der grossen Quests sieht es schon besser aus: Dexter mag ein skrupelloser Arsch sein, aber er will einfach überleben, Claire entpuppt sich als Rachebessesene, Eve wandelt sich von der Täterin zum Opfer. Und doch kann man immer leicht erkennen, wer «Gut» und wer «Böse» ist. Die grösste Ausnahme hierbei ist natürlich Johnny, der Massenmörder, der eine Atombombe in der Stadt zündet, rumsäuft, rumfickt, der irre Psychopath, Terrorist, Hedonist und Egoist und trotzdem unser Freund wird.

Die Enden In Cyberpunk 2077 sind dann definitiv Spitzenklasse. Hier hat CD Projekt RED das wirklich beste für die Geschichte gemacht, und nicht das, was die Leute sich wünschten. Denn es ist Cyberpunk, keine Wellness-Fantasy.

Geld oder Kult

Es wurde also bei vielen Elementen im Spiel eine harmlosere Variante von Cyberpunk umgesetzt, bei der zwar auch mal Gliedmassen durch die Gegend fliegen, aber unpersönlich bleiben und uns nicht emotional berühren. Es ist der einfachere und sicherere Weg und sorgt dafür, dass man an den Sittenwächtern vorbei und mit der gewünschten Altersfreigabe ohne Zensurauflage ein Spiel  auf den Markt bringen kann. Wirtschaftlich gesehen verständlich, aber es macht mir Sorgen, wie weit man diesem Trend weiter folgen will. Irgendwann wird man sich entscheiden müssen: Geld oder Kult?

The Witcher 3 wurde ein Meisterwerk, weil man mit Konventionen der High-Fantasy brach. Viele Kultfilme wurden gerade deswegen Kult, weil sie sich nicht an einfachen Mainstreamschemas hielten, sondern diese bewusst und kritisch hinterfragten. Die Klapperschlange” ist Kult, obwohl Snake Plissken null Interesse hat, der Gemeinschaft einen Dienst zu erweisen. Screenshot von Snake Plissken aus dem Film "Flucht aus New York"

Mad Max wandelt am Rande des Wahnsinns und in Pulp Fiction gibt es keine Helden und Terminator faszinierte wegen des Antagonisten. Nicht zuletzt Blade Runner, wo Deckard der Held hinterrücks Leute erschiesst, die doch einfach nur ein wenig länger leben wollen und Batty doch nur für sein Überleben kämpft, das seine menschlichen Erbauer ihm verwehren. Antihelden sind schwieriger umzusetzen und das Projekt dadurch risikoreicher, aber wenn es klappt, können auch diese sehr erfolgreich sein und zu Kult werden.

Paradebeispiel Sandra Dorsett 

Nicht nur das vorher Genannte, auch das Setting selber ist wichtig. Als Paradebeispiel dafür dient für mich die Mission mit Sandra Dorsett. Die ganze Stimmung, die harten, kalten Lichter, die “Funde” unterwegs, die Beleuchtung, die Ausstattung wird zusammen mit dem hämmernden Bass, der lauten Musik, zu einem unangenehmen,  hypnotisierenden Alptraum. Das sind die dunklen Seiten von Night City, das ist Cyberpunk! 

Bei der Rettung von Eve kommen ähnliche Vibes auf, Joshua und der “Kuhmann” gehen ebenso unter die Haut, wenn auch aus anderen Gründen. Bei all diesen Quests habe ich das Gefühl gehabt, so war Cyberpunk ursprünglich geplant, die wurden vor allen anderen Missionen erstellt. Am Ende der Dorsett-Rettungsmission sieht man tatsächlich eine nackte Person, nicht erotisch, sondern natürlich, nackt und verletzlich, das fährt ein, das macht Gänsehaut! 

Warum gab es später keine solchen Szenen mehr? Wurde es als zu krass befunden und hat man deshalb darauf verzichtet? Musste alles etwas leichter verträglich werden, eben amerikanisiert? Ich finde es schade, denn für mich ist genau dies der Unterschied, warum ich sage: Cyberpunk 2077 ist ein extrem tolles und grandioses Spiel, aber noch kein unerreichbares Meisterwerk, so sehr ich Night City und das Ambiente auch liebe. Und ich befürchte, dass mit jeder weiteren Annäherung an den amerikanischen Markt und dessen Gepflogenheiten die Geschichten immer mehr verwässert werden.

Möge ich mich irren, ich hoffe es sehr!

Danksagung

Eine riesengrosses Danke an die beste und tollste Nerderlei, die mir beim korrigieren und mit viel Zuspruch und Ideen geholfen hat und immer wieder hilf und immer wieder hilft, einfach schon nur, weil es sie gibt und weil sie auch meine hyperaktiven Phasen erträgt.
Sie hat auch einen sehr lesenswerten Blog unter www.nerderlei.de

(Und egal wie toll sie korrigiert, ich schaffe es immer Fehler vorbeizuschmuggeln oder neu reinzubringen.)